© VDH-Verlag, Angelika von der Heyden
Wahrscheinlich jeden haben die Bilder und Videos in den Nachrichten schockiert. Ich verfolgte dies die erste Woche intensiv im TV und in den sozialen Medien, und fragte mich, wie man helfen könnte (außer einer bequemen Geldspende, die natürlich auch enorm wichtig ist). Als ich sah, wie viele Landwirte und Handwerker das Zepter in die Hand nahmen, fasste ich endgültig den Entschluss aktiv zu werden. Ich schrieb auf jedem Weg jeden Handwerker an, den ich kannte. Innerhalb weniger Minuten bekam ich einen Anruf des Chefs der Firma Max Jung Transporte. Da er vor Ort war hatte ich sofort einen direkten Ansprechpartner und wusste somit, was benötigt wurde um gezielt zu sammeln. Auch bekam ich Telefonnummern von Organisationen, Ansprechpartnern und betroffenen Anwohnern, mit denen noch am selben Tag sehr lange Telefonate stattfanden. Innerhalb von nicht mal einem Tag war man in einem „gut geölten Motor“ eingebunden und ein wichtiges Teil der Hilfskette, was mich auch mit Stolz erfüllte. Am Tag darauf machte ich einen Aufruf über meine Firmenseite, um so viele Leute wie möglich zu erreichen. Ich telefonierte zusätzlich noch mit sämtlichen Fachhändlern und organisierte den Ausruf über die Ortsrufanlage. Meine Hoffnung war, dass wir ein paar tolle Spenden zusammenbekommen. Dass es aber zu einer solchen Menge an Spenden kam, damit hätte ich nie gerechnet. Keine 72 Stunden später klingelte das Telefon rund um die Uhr. Hauptsächlich ging es um die Fragen: „Was wird noch benötigt?“ und “ Wann können Spenden angeliefert werden?“.  Alleine war das zeitlich nicht mehr zu bewältigen. Meine Eltern waren vom ersten Tag an mit involviert und opferten ihre Freizeit, um den ganzen Tag Spenden anzunehmen und diese zu sortieren. Es war unbegreiflich, wie viele Leute kamen und vor allem woher. Die weiteste Anreise war aus 120 km Entfernung. Man lernte Menschen kennen, kam ins Gespräch und baute ein riesiges Netzwerk aus. Dies ging eine Woche lang von morgens bis abends. Zwischendurch mussten meine eigenen Firmenaufträge weiterbe¬arbeitet werden. Es waren 10 harte Tage mit viel Organisation und wenig Schlaf, aber ich spürte, dass das richtig war. Nun kam der Tag, an dem wir (mein Mitarbeiter Jan und ich) unseren Bus beladen mussten. Um es abzukürzen, der Bus hat eine reine Ladefläche von 4 m Länge, 1,5 m Breite und 2,5 m Höhe und war bis auf den letzten Millimeter gefüllt. Wir hatten geladen: knapp 1,2 Tonnen Tiernahrung, 800 Liter Trinkwasser, 400 Dosen Essen, 10.000 Müllsäcke, Schaufeln, Handschuhe, Eimer, Sterillium, Wund- und Verbandsmaterial, knapp 2.000 Würste, frische Dosenwurst der Metzgerei Göbel, 1.000 frische Brote/Brötchen der Bäckerei Reimund aus Brandau, Klopapier, Kaffee und noch vieles mehr. Nun kam der heiß ersehnte Tag der Anreise. Die begann um 4:00 Uhr morgens am 29.07.21. Die Ankunft war gegen 6:15 Uhr geplant. Die Realität ist kein Vergleich zu den vielen Bildern und Videos die wir zuvor gesehen hatten – uns verschlug es die Sprache. In unserem Bus herrschte angesichts der Live-Bilder lange Stille. Wir fuhren von der Autobahn bei Ahrweiler ab, bis dahin war nichts zu sehen, die Welt schien friedlich. Keine Minute später fuhren wir durch Ahrweiler und fühlten uns wie erschlagen. Zu diesem Zeitpunkt waren schon 10 Tage vergangen, in denen geräumt wurde und es „verhältnismäßig gut“ aussah. Und trotzdem war es wie in einer Geisterstadt. Überall lagen Trümmer, Autos lagen quer, halbe Häuser und Schneisen wo nichts mehr stand, Ratten, Müll und ein dauerhafter Staubfilm gemischt mit Altölgeruch - es war schockierend. Wir fuhren ein Stück durch Ahrweiler und mussten dort in die Weinberge, um uns über einen breiten Weg bis nach Dernau durchzukämpfen, da es keine Straßen mehr gab. Von den Weinbergen aus sollte uns ein noch erschütternder Anblick ereilen. Von hier oben konnte man einen großen Teil des Tales überblicken und sah die ganze Zerstörung. Ganze Landstriche fehlten, Bahngleise und See-Container lagen in den Weinbergen, und da, wo einmal Häuser standen – einfach nichts mehr. Man kann sich das, angesichts des kleinen Flusses, überhaupt nicht vorstellen. Gegen 6:30 Uhr erreichten wir Dernau und es kam noch schlimmer. An der Hauptstraße, an einer Uferseite, stand nichts mehr und der Dreck und der Geruch war noch schlimmer. In unserem Bus herrschte betroffenes Schweigen. Wir riefen Toni, unser Kontakt der in Dernau wohnte, an und eine 1/4 Stunde später standen wir uns das erste Mal persönlich gegenüber. Als wir ihm unsere Spenden zeigten, die wir auf seinem Wunsch hin gesammelt hatten, sah man wie ihm die Tränen in den Augen standen.  Zur selben Zeit fanden sich einige Handwerker ein. Wir besprachen, wer was kann und welches Werkzeug zur Verfügung steht und wurden dementsprechend eingeteilt. Es war erstaunlich, wie Menschen, die sich noch nie gesehen hatten, sich innerhalb von wenigen Minuten absprachen und einen Tagesplan aufstellten. Man stand sich sofort nahe und fühlte sich wie in einer großen Familie. Von einem Feuerwehrauto geleitet fuhren wir zuerst nach Resch, einem Ort ca. 1 km weiter, um dort an einem Bundeswehrstützpunkt einen Großteil des Essens abzuladen. Hier wurde gerade von zwei Brückenpanzer eine Brücke über die Ahr gebaut. In Resch (ca. 570 Einwohner) standen bis auf 3 4 Häuser nichts mehr. Wir wurden von den verbliebenen Anwohnern, dem THW und der Bundeswehr sehnsüchtig erwartet, da seit zwei Tagen keine frische Verpflegung ankam und wir von Toni angekündigt wurden. Man fiel sich in die Arme, freute sich einander kennenzulernen und lud gemeinsam einen Großteil aus. Anschließend tranken wir noch einen Kaffee zusammen und kamen dabei ins Gespräch. Man hörte deutlich heraus, dass die Menschen dort, egal ob Betroffene, Helfer, etc. wahnsinnig wütend auf die Bundesregierung sind, da sich augenscheinlich bis zu diesem Zeitpunkt niemand wirklich um die Nöte kümmerte und auch keine Hilfen ankamen. Sogar einige Soldaten der Bundeswehr sagten uns, dass sie auf eigene Faust handelten, da sie bis jetzt noch keine offizielle Erlaubnis hätten mit dem Brückenbau zu beginnen. Dies macht mich fassungslos und wütend. Gleichzeit berührte es mich, wie es aber einfach auf eigene Faust gemacht wird, weil es nötig ist.  Wir bekamen von einem Soldaten gesagt, dass der Ort Mayschoß erst seit gestern Abend erreicht wurde und dort dringend Essen, etc. benötigt würde. Da ein Navi durch fehlende Straßen nicht wirklich funktionierte, wurden wir kurzerhand von der Bundeswehr nach Mayschoß begleitet. Wir fuhren wieder durch die Weinberge. Für einen kurzen Moment war man wieder in einer idyllischen Landschaft wo die Welt in Ordnung war. Nach 30 Minuten kamen wir kurz vor Mayschoß an. Hier standen wir im Stau, da niemand reinfahren durfte. Kurz zuvor wurden acht Leichen gefunden, die zuerst geborgen werden mussten, was bis zu drei Stunden dauern könnte. Obwohl die Situation auch für uns nicht leicht war, waren drei Stunden warten, wo noch so viel Arbeit vor uns lag, problematisch. Hinter unserem Wagen stand ein Pritschen-LKW ohne Ladung. Ich fragte den Fahrer, ob wir seinen Wagen mit unseren Lebensmitteln, Tiernahrung, etc. beladen könnten, da wir in Dernau erwartet wurden, um dort zu arbeiten. Er sagte sofort zu und wir fingen an umzuladen. Dank einer Menschenkette der Handwerker aus den umliegenden Autos hatten wir in kürzester Zeit alles umgeladen. Die wichtige Versorgung für Mayschoß war gesichert und wir konnten zurück nach Dernau. Der Eindruck, Teil der großen Gemeinschaft zu sein, zeigte sich nicht nur dadurch, dass sich jeder Handwerker grüßte, sondern auch dadurch, dass sofort jeder bereit war alles gemeinsam zu erledigen.                          Wieder in Dernau angekommen brachten wir den Rest unserer Ladung zur ehemaligen Schule, die nun als Verpflegungsstation diente. Hier bekam man Essen, Trinken und eine Dusche. Anschließend ging es zur zugeteilten Adresse, um ein Haus zu entkernen, damit die Trocknungsgeräte aufgestellt werden konnten. Dort trafen wir noch drei Leute, die aus dem Necker-Odenwald-Kreis kamen. Der Statiker vor Ort sagte uns kurz und bündig was zu machen war und verabschiedete sich mit den Worten: „Ihr wisst ja was ihr macht. Ich überlasse euch die Planung, Koordinierung und komme morgen wieder.“ Und somit räumten die beteiligten Handwerker ihr Werkzeug aus und fingen an, das Haus von oben nach unten zu entkernen. Man kam ins Gespräch und es entwickelte sich eine Freundschaft. Man lachte zusammen und arbeitete Hand in Hand. Jeder Handgriff saß, obwohl man sich vorher nicht kannte – ein tolles Gefühl. Schnell wurde klar, wie das hier läuft, und dass die Handwerker alles koordinieren und lenken. Man war sofort in diesem Uhrwerk integriert und teilte Helfer ein, koordinierte die Feuerwehr und das THW, denn jeder fragte wo und wie man helfen könne. Während dem Arbeiten ließ ich den Morgen Revue passieren und dachte mir nur: „Krass, du kommst hierher zum ersten Mal und drei Stunden später arbeitest du hier. Bist, warum auch immer, Ansprechpartner geworden. Koordinierst Helfer auf der Baustelle, hältst das THW an, dass sie den Keller auspumpen und bekommst Anrufe von Anwohnern und anderen Firmen. Planst die Abfuhr des Mülls und stellst Werkzeug zur Verfügung.“ Es war ein unbeschreibliches Gefühl, zu merken was man bewegen kann.  Wir entkernten das komplette Obergeschoss und machten danach erst mal Mittagspause. Vor dem Haus hielten wir einen Baggerfahrer an und sagten ihm, dass wir jetzt den Bauschutt rausbringen und fragten ihn, ob er diesen in einer Stunde abfahren könnte. Es war erstaunlich, es funktionierte alles ohne Bürokratie, irgendwelche Bauleiter, etc. Eine einfache Absprache unter Handwerkern genügte. Nun lernten wir Kathrin kennen, die Besitzerin des Hauses. Sie brachte uns etwas zum Essen. Im Gespräch erzählte sie uns alles von der Flut. Dies zu hören war schockierend und als uns Kathrin sagte, wie hoch das Wasser stand, realisierten wir erstmals erstaunt die Wasserspuren an den Häusern, wir hatten zuvor nicht darauf geachtet. Kathrin sagte, sie müsse etwas holen und habe aber kein Auto mehr. Ich drückte ihr meinen Autoschlüssel in die Hand und sagte ihr, dass sie holen solle, was sie brauche, wir arbeiten in der Zeit weiter. Irgendwann hatte ich meinen Schlüssel wieder und der nächste brauchte meinen Bus mit etwas Werkzeug. Auch dieser bekam den Autoschlüssel und auch hier stand der Bus irgendwann wieder an seinem Platz. Was normalerweise undenkbar ist, einem Fremden seinen Autoschlüssel oder Werkzeug zu geben, ist dort völlig normal. Ich kann es bis heute nicht erklären, aber man weiß, dass alles wieder ankommt und nichts fehlt. Das ist ein tolles Gefühl von Menschlichkeit. Nach einem langen 14 Stunden-Arbeitstag gingen wir zum Sammelpunkt duschen und anschließend setzten wir uns mit Kathrin, unseren neuen Freunden, Soldaten, Feuerwehrleuten, etc. zusammen und jeder stellte auf den Tisch, was er noch hatte – alles wurde geteilt. Wir hatten alle einen schönen Abend mit tollen Gesprächen. Um 6:00 Uhr morgens ging es weiter. Nach einem Kaffee an der Schule wurde um 7:00 Uhr mit der Arbeit begonnen. An diesem Tag fühlte ich mich so, wie es Bewohnern eines Kriegsgebietes ergehen muss: Hubschrauber kreisten über dem Gebiet, Panzer fuhren durch die Straßen, alles war laut, staubig und über allem hing dauerhaft Altölgeruch. Gegen Mittag rief uns ein Handwerker zu, dass ein Anwohner seine Feldküche aufbaut und für alle was zu Essen machen würde. Diesem Aufruf folgten wir gerne und liefen zur alten Schule. Als wir so durch den eigentlich schönen Ort liefen, sahen wir erstmals das gesamte zerstörende Ausmaß der Flut, die Ruinen und jede Menge Dreck. Leider wurde auch eine Leiche gefunden, alles sehr erdrückend.  Trotz allem hatten die Leute dort, die nichts mehr besaßen, immer ein Lächeln für die Helfer und waren unendlich dankbar. An jeder Ecke standen Schilder oder auf Hauswände gepinselt „Danke euch“ oder „Ihr seid unglaublich“, etc. – einfach nur überwältigend. An der Schule angekommen, bekamen wir hautnah die Bürokratie Deutschlands zu spüren – Gesetze einhalten, ohne Wenn und Aber, ohne Rücksicht auf die dortige Situation. Für mich persönlich ein Symbol dafür, was die Politik in Deutschland inzwischen darstellt. Ein Abgeordneter des Gesund¬heitsamtes wollte dem Anwohner verbieten die Feldküche in Betrieb zu nehmen, um die Helfer zu verköstigen, da er (man halte sich fest) keine Genehmigung habe Essen auszugeben. Da hatte er aber nicht mit dem großen Zusammenhalt der Helfer gerechnet. Zuerst wurde er gefragt, wo denn die Verpflegung der Regierung sei … Seine Antwort: „Das weiß ich nicht.“ Schließlich versammelten sich alle, und ihm wurde nahe gelegt zu gehen. Nicht einmal die Polizei vor Ort griff ein, da diese ebenfalls genau mitbekamen, wer hier alles regelte. Der gute Mann ging leicht geknickt und wir konnten zu Mittag essen. Es macht mich in dieser Situation so wütend, dass der Staat hier scheinbar in vielem versagt, sei es fehlende oder zu späte Hilfe, gar keine Verpflegung - aber Hauptsache, in einem Krisengebiet nach Genehmigungen fragen oder auf Gesetze pochen. Wer einmal hier war weiß, dass man sich nur auf den Mittelstand verlassen kann und sich am besten selbst versorgt. Denn wenn es darauf ankommt, wird man vom Staat außer Ausreden und leeren Worten nichts erhalten. Aber genug abgeschweift. Nach dem Mittagessen und neuen Bekannten/Helfern, mit denen wir unsere Telefonnummern tauschten, entkernten wir bis zum Abend das restliche Haus von Kathrin. Als der Statiker kam konnte er kaum glauben, dass wir mit fünf Mann ein komplettes Haus (bis auf die Grundmauern) entkernt hatten (inkl., dass der Keller ausgepumpt und der gesamte Bauschutt abgefahren wurde. Kathrin viel uns um den Hals. Sie war überglücklich und drückte uns als Dankeschön ein Handtuch ihrer ehemaligen Pension in die Hand. Gegen Abend und kurz vor Antritt unserer Heimreise halfen wir noch den ehemaligen Garten zu roden und aufzuräumen. Hier fanden wir silbernes Babybesteck. Wir zeigten es Kathrin und diese bekam Tränen in die Augen. Sie sagte uns, dass dies von ihren beiden Töchtern sei. Diese Flut hat alles weggerissen und dann finden wir so etwas Persönliches inmitten von Schutt. Als wir uns verab¬schiedeten, kamen noch Winzer aus dem Ahrtal vorbei und schenkten jedem eine Flasche frischen Traubensaftes. Diese Menschen haben alles verloren und geben einem dennoch von ganzem Herzen noch das Wenige, was übrig ist – überwältigend! Jan und ich verabschiedeten uns mit dem Versprechen, in 3-4 Wochen wieder zu kommen und fuhren nach Hause. Die Heimfahrt war sehr ruhig und man merkte, jeder von uns hatte ein schlechtes Gewissen nach Hause zu fahren. Nach Hause, wo wir alles haben, wo hier so viel Arbeit ist und die Leute nichts haben. Natürlich hat man auch Verpflichtungen, seiner Familie gegenüber. Und trotzdem will man eigentlich nur wieder zurück, zu diesen tollen Menschen, dieser tollen Gemeinschaft. Man weiß, dass man dort gebraucht wird und Teil von etwas ganz Großem ist. Bis heute halten wir fast täglich Kontakt und in der Zeit wo wir zu Hause sind, um unserem Job und unseren Verpflichtungen nachgehen, klingelt trotzdem noch fast täglich das Telefon. Ich bin für viele hier bei uns ein Ansprechpartner geworden. Obwohl ich das nicht wollte, bin ich das nun gerne mit ganzem Herzen. Ich telefoniere mit Anwohnern, Handwerkern von dort und hier. Koordiniere Lieferungen, Spenden, wer was, wie, wo machen kann, mitnehmen kann, was gebraucht wird und wo Hilfe gebraucht wird. Dadurch habe ich weniger ein schlechtes Gewissen, da ich weiß, dass ich in der Zwischenzeit, bis wir wieder hinfahren (1 x/Monat), von hier aus permanent weiterhelfen kann und Teil dieser ganz tollen Gemeinschaft geworden bin. Christian Werner(re.) und  sein Mitarbeiter Jan  Montageservice Werner GmbH, In der Geberstadt 4 Tel.: 06154-638582, Mobil: 01515-8833084 Mission Herzenssache von Christian Werner, 25.08.2021 Ahrtal